„gebastelte Fußnoten“
Der Kunstladen101 erinnert im Mozartjahr an Christoph Martin Wieland.
In einer abderitisch anmutenden Zeit, die es mit den runden Zahlen und runden Bällen hat,
schenkt der Kunstladen 101 den unrunden Jubiläen seine volle Aufmerksamkeit.
Vor 225 Jahren erschien Wielands Roman „Geschichte der Abderiten“.
In ihm zeigt uns Wieland, wohin der völlige Mangel an Geist, Vernunft und Moral führt.
Er hüllt die zeitlose Narrheit menschlichen Lebens und Treibens in ein antikes Kostüm und macht die
griechische Kleinstadt Abdera zum Schauplatz der Handlung.
Der Höhepunkt des Romans ist der lächerliche Streit um den Schatten eines Esels, in dem
Begriffsspalter, Wortklauber, doppelzüngige Priester, käufliche Schiedsrichter, bestechliche Gelehrte,
Cliquen und Parteien; kurz: Abderiten auf den Plan treten. Wielands zierliche, maßvolle,
noch dem Geist des Rokoko verpflichtete Satire stellt das Possenspiel seiner Abderiten-Gesellschaft
der Aufgeklärtheit seiner Leser anheim.
Rolf Zander (geb.1934) hat sich seit etlichen Jahren von diesem
„…Prozeß um des Esels Schatten“ zu seinen „gebastelten Fußnoten“ anregen lassen,
die nun im Kunstladen101 anlässlich dieses Jubiläumsumfangreich, wie es der deutschen
Fußnote gebührt, zu sehen sein werden.
In Rolf Zanders gebastelten „Fußnoten“ scheint Wielands Narrenstädtchen aus
den Fugen zu geraten, sein Abdera ist ein schrilles Tollhaus, das der nackte Irrsinn regiert.
Die Arbeiten entstanden aus einem Zusammenspiel von Dias, Farbkopien, Zeichnungen und
Scherenschnitten und Hinterglastechnik, das den Betrachter, über das was er sieht, täuscht.
Zander hält unseren Blick zum Narren. Die von Rolf Zander eingesetzten Ausdrucksmittel;
Glasscherben, Scherenschnitte, Klemmleuchten, die in der aktuellen Kunst fast
vergessene Taschenlampe schaffen miniatürliche Räumlichkeiten, die durch
die Technik des Abfotografierens in die Zweidimensionalität
zwar rücküberführt,dann aber durch minimale malerische Eingriffe einer erdachten
Dreidimensionalität zugeneigt bleiben. Es entstehen gebrochene, verunsichernde Räume
prekären Daseins.
„Der Narr“ sagt Rolf Zander „weiß ja nicht, daß er genarrt wird.“
Abdera gab Wieland und gibt Zander Stoff genug an die Hand das Spielerische und Unernste
als existentielle Haltung auszuloten und den Zweideutigkeiten und Abgründen des Lebens
mit Heiterkeit zu begegnen.
Auch die kleinen Cigarillokastengroßen Installationen, aus Fundstücken vom Strand,
Aufgeklaubtes aus dem Kinderzimmer der Enkel, Papierfetzen und alten Postkarten zu
bühnenanmutenden Räumen geformt, foppen unseren Realitätssinn auf nicht weniger
unterhaltsamere Art als das Schattenspiel im platonschen Höhlengleichnis die Höhlenbewohner.
In Zeiten der Verdunkelung durch Beleuchtung stößt der Betrachter in Rolf Zanders Arbeiten auf
humorvollste Weise auf die in unserer Zeit scheinbar fast vergessene Technik des poetischen
Aufleuchtens. In seinen Bildfabulierungen dürfen die Dinge erscheinen; Matrosen und
Leuchttürme tauchen in seiner gemalten und gebastelten Theorie des Gewitters auf,
Jens Munk(1579-1628), einer der ersten Eismeerfahrer, beherrscht in dem Zyklus
„NordwestPassage“ mächtig still die Szene und eine kleine Hinterglasarbeit hält die
Szene im Gedächtnis wie der englische Maler William Turner sich an einen Mast anbinden
ließ um die Gewalt des Sturmes am eigenen Leib zu erleben.
Die ganze Szenerie Zander’sch in Mehlstaub gehaucht.
Rolf Zander hält es in allem mit dem Wielandschen Humor, daß der Körper nur
den Schatten wirft.
Susann Stuckert im März 2006